Vergesst Rilke
Wer herzergreifende Lyrik lesen will, der greife zu den auf den Seiten des Friedwalds gesammelten Kleinoden. Zum Beispiel hat die dem Literaturbetrieb (noch!) völlig unbekannte Irene Wahle (sie ist wohl Biographin) den wunderschönen Text geschrieben „Wenn Hamster und Großväter sterben“. Eine Überschrift, die mich mit wohligem Schauer an den „Verein für Tiere und kranke Kinder“ denken ließ; auf die Reihenfolge kommt es eben an. Tränen flossen auch über mein Gesicht, als ich die ersten Sätze von Wahle las: „Lars-Enrico (8) weinte, als sein Goldhamster Otto starb. Die Mutter griff die kleine Leiche mit einem Stück Küchenkrepp, brachte sie zum Müllschlucker und sagte: ‚Heul nicht, wir kaufen einen neuen!'“
Das haut rein, oder? Lars-Enrico, er muss ein kleiner Sachse sein, hatte nun also einen Otto geheißenen Ex-Nager. Worte wie Leberhaken, deren Wirkung durch den nächsten Hammersatz noch ins Unerträgliche gesteigert wird. Da moduliert die Zauberin Wahle zwischen Hoch und Tief als wär’s eine Lust. Denn der putzige Tierkadaver wird nicht nur ordnungsgemäß entsorgt (schon ein raffinierter Hinweis auf das auf diesen Seiten beworbene Bestattergewerbe?), auch Lars-Enrico wird ordnungsgemäß getröstet. Nicht etwa mit „Halt’s Maul“ oder „Fresse!“, sondern mit einem warmherzigen „Heul nicht!“ Das ist wahre Mutterliebe. So geht’s dann dahin.
Die Website „Abschiedsvorstellung“ will offensichtlich unseren Umgang mit dem Tod entkrampfen. Sehr löblich. Aber gut gemeint ist eben immer noch das Gegenteil von gut gemacht. Denn bei jedem Besuch der Site frage ich mich: echt oder fake?
Categories: Allgemein
Tags: Friedwald, Hamster, Otto
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